Aktion Felicitas

Geschichten von der Agger

Aktion Felicitas

Still und fast starr liegt der See, nur ein leichter Wind kräuselt die Wellen. Schwarz und schweigend steht der Wald auf den Hängen, welche schroff das Ufer umsäumen. Der Wind verursacht ein leichtes Rauschen in den Zweigen und hin und wieder knackt es im Unterholz. Ansonsten herrscht eine unheimliche, bleierne Stille.

Man schreibt das Jahr 1872 und über ganz Schottland hat sich eine sternenklare Nacht gelegt. Im spärlichen Licht der schmalen Mondsichel kann man nur so gerade die schimmernde Wasserfläche sehen und die pechschwarzen Hänge erahnen.

In finsterer Nacht allein steht ein einsamer Angler am Ufer und wacht über sein Angelgerät. Ihm schaudert. Er schaut zum Sternenhimmel und will gerade fragen…, als unweit vor ihm das Wasser unruhig wird, zuerst ganz leicht, dann immer stärker und stärker und schließlich zu brodeln und zu kochen beginnt. Gischtfontänen schießen in die Höhe und majestätisch taucht schnaubend und brüllend ein riesiges Seeungeheuer auf, welches zähnefletschend geradewegs auf ihn zustürzt.

Gepackt vom größten Entsetzen ergreift er heillos die Flucht. Ohne Rücksicht auf Leib und Leben rennt er über Stock und Stein, reißt sich die Kleidung kaputt und die Kniee blutig.

In völliger Panik erreicht er das nächste Dorf. Gott sei Dank hat der Pub noch auf und er verschanzt sich hinter den letzten Gästen am Tisch. Alle Augen sind fragend auf ihn gerichtet und nachdem es seine Stimme wieder zulässt beginnt er krächzend zu erzählen…

…Und eine uralte Legende tauchte aus der Vergessenheit auf, wird lebendig und fasziniert die Leute bis weit, weit über die Landesgrenzen hinaus. – Das Land erlebte einen ungeahnten Touristenboom welcher bis heute anhält.

* * *

Ruhig liegt der Aggerstausee unter dem Sternenzelt, einige Wasservögel verursachen hier und da verhaltene, gurgelnde Geräusche. Es ist Frühlingserwachen, Balzzeit. Gerade ist Neumond gewesen und nun nimmt der Mond zwar wieder leicht zu aber das fahle Licht gewährt nur spärliche Sicht. Hinzu kommt leichter Nebel, der sich in Schwaden über dem Wasser dreht. Durch die Nebel kann man die Lichter des kleinen Dorfes am Ende des Sees nur schwach erahnen. Die Luft ist kühl und rein und man hört den Schlag der Uhr vom nahegelegen Wasserschloß. Doch niemand hatte mitgezählt. Niemand? – Doch, einer hatte mitgezählt.

Ein einsamer Angler steht am Aggerstausee. Gerade will er hinaufsehen zu den Sternen um zu fragen…, als ihm die Schlossuhr sagt: Es ist schon spät. Der Fang war bisher dürftig, aber er will dann doch endlich seine Angelschnüre einholen, – als er ein Kräuseln auf der Wasseroberfläche bemerkt. Langsam, ganz langsam erscheint ein breites, rundlich gewölbtes Etwas vor ihm im Nebel. Ihm wird unheimlich. Dieses Etwas hat gar keine Rückenflosse. Nach allem was er bei der Fischereiprüfung gelernt hat gibt es hierzulande keinen Fisch, der keine Rückenflosse hat. Er denkt noch schnell nach, was er alles auf den Schautafeln gesehen hat und kommt zu keinem anderen Schluss als: „Das ist kein Fisch“! Als er mit weit aufgerissenen Augen wieder auf das Wasser schaut ist die Erscheinung verschwunden.

Völlig verstört kommt er in den Hubertushof, der Gott sei Dank noch auf hat und kauert sich zu den letzten Gästen in die hinterste Ecke am Tisch. Alle Augen sind fragend auf ihn gerichtet und nachdem er sich wieder gefangen hat, beginnt er krächzend zu erzählen….

Wochen später wird noch geredet über diesen Vorfall. Manche Besserwisser winken ab und meinen, das sei halt ein uralter, übergroßer Karpfen gewesen. Möglicherweise noch mit Moos auf dem Rücken, weshalb man die Rückenflosse nicht sehen konnte. Immerhin können Karpfen hier bis zu ca. 40 Jahre alt werden.

Doch die Angler im Hubertushof erzählen, das dieses nicht der erste Bericht war. Andere Mitglieder des Vereins hätten ähnliches erzählt. Auch Leute, die sich in Karpfenkunde bestens auskennen, hätten von einem breiten runden Rücken, definitiv ohne Rückenflosse, berichtet.

Eines Abends sitzt auch Rolf L., im Hubertushof und hört zufällig die Gespräche von den Nebentischen. Er meint, dass man solchen Sachen auf den Grund gehen müsste und sucht deshalb Tage später mit einer Einsatzgruppe das Aggerufer ab. Mit schussbereiten Kameras machte man sich auf die Jagd. Es ist ungeheuerlich, was die Gruppe alles sieht:

Müll_aus_der_Agger_web

Plastikzeug, Autoreifen, Abfall, sogar ein verrostetes Moped am Turbinenhaus. – Nur das große runde „Ungeheuer ohne Rückenflosse“ finden sie nicht. Man überlegte schon, bei der freiwilligen Feuerwehr um Hilfe zu bitten. Aber um eine Taucherstaffel in Marsch zu setzen bedarf es der Beweise. Einfach mal so ein Seeungeheuer zu retten, das es vielleicht garnicht gibt, – nein, nein, so einfach geht das nicht.

Rolf stöbert in alten Fotos und Zeitungsartikeln herum, um vielleicht hier Hinweise über dieses mysteriöse Wesen zu finden. Und, nach langem Suchen, hält er endlich eine alte Postkarte in Händen, welche die mondbeschienene Agger von vor dem Kriege zeigt und er glaubt im Hintergrund eine Spur zu erkennen.

Unverzüglich macht er einen Termin bei Bürgermeister Karthaus und unterbreitet ihm seine Vermutung. Der Bürgemeister hört sich alles konzentriert an und nimmt auch die Postkarte genauestens in Augenschein. Doch nach eingehender Betrachtung meint er: „Also, beim besten Willen, mein Lieber, ich kann hier nicht den Ansatz einer ungewöhnlichen Erscheinung entdecken.“

„Aber siehst Du denn nicht da diese Stelle wo die Büsche übers Wasser ragen,“ meint Rolf, – „zugegeben es ist nicht eindeutig zu erkennen, aber vielleicht… Mein Vorschlag: ich gehe zu einem Bekannten, der sich mit Photoshop auskennt, die können kleinste Partikel vergrößern, aufhellen, aufarbeiten, aufpeppen und überhaupt ganz tolle Sachen machen.“

Gesagt, getan.

Am 1. April ‘14 spricht er wieder beim Bürgermeister vor. Er hat die Photoshop-Arbeit im Gepäck. „Verblüffend“, meint Gero Karthaus, „verblüffend, was man so alles machen kann“.

„Ja, ja das meine ich ja auch, wenn wir das publik machen, kann man jetzt schon erahnen, wie gut das dem Gemeindesäckel bekommen wird. Immerhin entstanden in Schottland auf Grund einer solchen Erscheinung: Hotelbauten, Ausflugsdampfer, Kongresszentren und ein Andenkenladen nach dem anderen! – können wir auch alles!“

„Nunja, man soll ja nichts außer Acht lassen“, meint der Bürgermeister, „mit dem Christkind in Engelskirchen läuft das ja beispielsweise auch ganz gut.. In diesem Falle hier brauchen wir aber unbedingt ganz handfeste Beweise. Ich würde sagen, halte die Sache doch einfach mal ganz cool im Auge.“

Einige Wochen später melden Anwohner des Aggergrabens in Ehreshoven, sie hätten ein ungewönliches Wesen ohne Rückenflosse im Kanal gesichtet. – Sofort beginnt die Suche aufs Neue. Hatte „ES“ doch tatsächlich unbeschadet die fast 6 m hohe Staustufe überwinden können. – Nun wollte man endlich wissen was „ES“ war. – Wer es zuerst entdeckte durfte ihm einen Namen geben.

Und endlich, endlich wird man fündig. Mit einem 400-mm-Teleobjektiv, Lichtstärke 4,8, Blende 12. bei exakt 12°Celsius Aussentemperatur, gelingt ein Foto. Volltreffer. – Der Finder nennt es „Felicitas„, denn es ist eine „Sie“, – eine Wasserschildkröte, – nicht gerade häufig in unserer Gegend.

Etwas desillusioniert macht Rolf dann Meldung beim BM. Er hatte gehofft, es wäre etwas spektakulärer ausgegangen, schade eigentlich. –

„Kopf hoch“, meint Gero Karthaus, „immerhin zeigt es doch: dass das Aggerwasser wieder in Ordnung ist, dass eine Artenvielfalt besteht, dass sich Leute engagieren und mit offenen Augen durch unsere Gemeinde gehen und nicht zuletzt, dass hier die Fantasie noch nicht verloren gegangen ist! – Ist das denn nix“?

„Dann lassen wir das Tier jetzt mal in Ruhe und passen gut auf, das sich die Overather nicht wieder alles unter den Nagel reißen“.

P.W.

 

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